Bauernhofurlaub
+ Planwagenfahrten

Gegen das Vergessen   

Schellen Hof während des II. Weltkriegs

Während unserer Kindheit stand der älteren Generation das Grauen ins Gesicht geschrieben, sobald der Krieg zum Thema wurde. Unser Opa bekam regelmäßig Besuch von seinen Kriegskameraden. Dann setzten sie sich in die "gute Stube" und wir durften sie nicht stören. Darüber gesprochen hat Opa mit uns Kindern nicht. Und dennoch haben seine Erfahrungen auch uns geprägt.
Für die Kinder heute ist der Krieg ewig lang her. Sie spüren keine Auswirkungen mehr.
Mit dieser Seite möchten wir einen Beitrag gegen das Vergessen leisten und unser Wissen so weitergeben, dass Sie es auch mit Kindern anschauen und besprechen können.
Meinkenbracht in den 20er Jahren
Der prägnante Kirchturm fehlt hier noch. Die Kirche wurde 1929-1930 gebaut. Sie wurde 1945 stark beschädigt. Die Reparaturen zogen sich bis 1955 hin.
Details dazu finden Sie hier.
Auch wenn es in Meinkenbracht offenbar keine bekennenden Nazis gab, sind Nationalsozialismus und Krieg nicht spurlos an unserem kleinen Dorf vorbeigegangen. Eine inzwischen verstorbene Nachbarin erinnerte sich: "Wir Kinder mussten Schmiere stehen, wenn die Eltern verbotene Radiosender hören wollten". Auch wurde weiterhin mit Juden gehandelt - heimlich und in aller Vorsicht.

Kriegsbeginn 1939

Am 1. September 1939 brach der Krieg mit Polen aus. Sofort zu Kriegsbeginn wurden 8 dienstpflichtige Meinkenbrachter eingezogen. Opa Konrad (Jahrgang 1914 - Jupps Vater) war auch darunter.
Seine Schwester Adele (Jahrgang 1918) erinnert sich:
"Es war eine schlimme Zeit. Konrad hatte den Krieg schon immer kommen sehen. Und dann musste er mit den Ersten weg."
Auf diesem Foto aus seiner Ausbildungszeit 1937 steht er vorn in der Mitte. Er ist klein, nicht mal 1,65 m groß und wurde im September 1939 gerade 25 Jahre alt.
Wenn er zu Besuch nach Hause kam, wurden immer Fotos gemacht. Man konnte schließlich nie sicher sein, ob oder wann er zurück kommt. Der letzte Abend war für unseren Opa immer besonders schlimm. Er wollte gar nicht zu Bett gehen, sondern so viel Zeit wie möglich mit seinen Eltern und Schwestern verbringen. Adele erzählte: "Wenn wir dann einnickten, weil wir müde wurden, sagte er immer: ,Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?'– Er wollte nicht wieder fort…"  Doch er musste.
Nach einer Schussverletzung durfte Konrad für mehrere Tage nach Hause. Als Kinder fanden wir es spannend, dass die Kugel ihn so am Nasenrücken getroffen hatte, dass sie im Nacken wieder herauskam. Er lag vermutlich auf dem Boden oder in einem Graben und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Welche Schmerzen er dabei erlitten haben muss, konnten wir Kinder uns nicht vorstellen. Dass er einen guten Schutzengel gehabt haben musste, der Verletzungen der Luftröhre und der Augen verhindert hatte, war uns sehr wohl klar.

12. April 1945 - ein schwarzer Tag fürs Dorf

Der 12. April 1945 war ein schwarzer Tag für Meinkenbracht. Seit Wochen rückte die Front näher. Viele Bewohner waren in die umliegenden Wälder geflüchtet. Nach einer Nacht mit erbitterten Kämpfen fanden sie ihr Dorf bei ihrer Rückkehr in Schutt und Asche vor. 11 Häuser waren komplett abgebrannt, alle weiteren beschädigt.
Adele erzählte es uns so:
"Viele sind in den Welberg geflohen. Wir nicht. Wir sind zu Hause geblieben und in den Keller gegangen. Wir haben auf den Kartoffeln geschlafen und die Soldaten legten sich in unsere Betten. Das Haus war so voll. Die Küche war voller Stroh und voller Soldaten. Wir haben im Keller gewartet. Es waren bittere Stunden und Angststunden. Es war eine schwere Zeit...
Einmal kam ein Soldat runter in den Keller. Wir hatten dort Runkeln gelagert, als Futter für das Vieh. Der Soldat kam runter und biss einfach so in eine Runkel. Da habe ich gedacht: Mein Gott, muss Hunger weh tun…
An unserem Haus war das Dach beschädigt. In der großen Küche hatte eine Granate in die Spüle eingeschlagen. Hinter dem Haus ist eine Scheune abgebrannt und der Schweinestall. In der Scheune hatte ein ziemlich neuer Dreschkasten gestanden…
Dann kamen die Nachbarn aus dem Welberg zurück. Ihr Haus war komplett abgebrannt. Es war ein schlimmes Bild wie sie mit den ganzen Kinderwagen und den vielen Kindern aus dem Welberg zurück kamen und hatten kein Haus mehr. Sie haben dann in unserer Wohnstube geschlafen."

Für uns heute kaum vorstellbar
Soweit ich weiß, hatte die Familie aus der Nachbarschaft acht Kinder. Ihr Hof war komplett zerstört und verbrannt. Würden wir unser Wohnzimmer für eine Großfamilie aus der Nachbarschaft zur Verfügung stellen?
Schaut euch im Internet Bilder von Runkeln / Futterrüben an. Vielleicht könnt ihr erahnen wie hungrig man sein muss, um in das Viehfutter zu beißen.

Keine Infos von meinem Opa

Wie es meinem Opa erging, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Auf dem Hof wurden Flüchtlinge einquartiert. In jedem Raum wohnte eine andere Familie. Es gibt einen Schriftwechsel mit dem Amt in Freienohl, in dem mein Uropa darauf besteht, dass sofort ein Raum frei gemacht werden müsse, sollte sein Sohn (also unser Opa) zurückkehren.

Russische Gefangenschaft
Während im überfüllten Dorf die Häuser wieder aufgebaut und die Felder bearbeitet wurden, befand sich mein Opa in russischer Kriegsgefangenschaft. Er hat dort gefroren, gehungert und Zwangsarbeiten geleistet. Ich weiß nicht viel über seine Zeit in Russland, doch hat es ihm wohl geholfen, dass er klein und drahtig war.
Mit einem Kameraden gemeinsam ist ihm die Flucht gelungen. Zusammen haben sie sich bis Bayern durchgeschlagen. Dort wurden sie von der amerikanischen Besatzung aufgegriffen und - kann es eine schlimmere Vorstellung geben? - zurück nach Russland gebracht.

Der letzte Heimkehrer in Meinkenbracht
Am Samstag, den 3. Juli 1949 - 4 Jahre nach Kriegsende - kam unser Opa schließlich nach Meinkenbracht zurück. Niemand hatte mehr mit seiner Rückkehr gerechnet. Er war der letzte Meinkenbrachter, der zurückkehrte. Bei seiner Ankunft standen die Dorfbewohner Spalier und läuteten die Kirchenglocken.

Kein Schlafplatz
Der Hof, der Opa bereits seit 1941 gehörte und den unser Uropa weiter bewirtschaftet hatte, war überfüllt. 4 Jahre nach Kriegsende war immer noch jeder Raum mit Flüchtlingen belegt. In seinem eigenen Haus, gab es kein freies Zimmer für ihn. Das Amt in Freienohl verstand das Problem nicht: Er könne doch auf dem Badezimmer schlafen...
Über mehrere Monate zog sich der Schriftwechsel mit den Freienohler Beamten.
Wie es meinem Opa in dieser Zeit seelisch erging, können wir nicht einmal erahnen. Die Grauen des Krieges verursachten ihm jahrelang Alpträume - vielleicht jahrzehntelang. Die Kriegserlebnisse waren ein Tabu-Thema. In der Familie wurde nicht darüber gesprochen.
Bei seiner Rückkehr war Opa 35 Jahre alt. Der Krieg hatte ihm seine ganze Jugend, sicher zahlreiche Kameraden und einen Bruder genommen.

Und heute?

Was uns bis heute prägt
Was uns heute immer noch prägt, ist der Hunger, den Opa erlitten hat. Lebensmittelverschwendung brachte ihn auf die Palme. Faulendes Obst wurde von braunen Stellen befreit und dann gegessen. Essensreste wurden am nächsten Tag verzehrt, auch hartes Brot oder Gerichte, die man nur schlecht aufwärmen kann. Neue Kleidung und neue Schuhe brauchte er nicht. Er war genügsam, stellte keine Ansprüche. In Zeiten von Nachhaltigkeitsdiskussionen können wir uns daran ein Beispiel nehmen.

Als ich 25 Jahre alt wurde, war mir sehr bewusst, dass für meinen Opa in diesem Alter die Jugend endete. Für die folenden 10 Jahre konnte er keine freie Entscheidung treffen und geriet von einem Grauen in das nächste. Wie lang so ein 10-Jahreszeitraum ist, machte ich mir bewusst, bis ich 35 wurde. Und ich danke Gott, dass ich in Frieden und Freiheit leben darf und ein selbstbestimmtes Leben führen kann!

Weitere Informationen
Weitere Infos zum Kriegsgeschehen in Meinkenbracht finden Siehier.

Gegen das Vergessen
All dies haben wir aufgeschrieben, um zu zeigen, dass der Krieg an niemandem vorbei geht. Selbst die kleinsten Dörfer im Sauerland waren betroffen. Darum ist es so wichtig, dass wir daraus lernen und unsere Kinder Toleranz und Respekt gegenüber jedem Menschen, jeder Religion, jeder Nationalität lehren. Damit wir miteinander in Frieden und Freiheit leben können.

Der ungerechteste Frieden ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.        (Marcus Tullius Cicero)

Share by: